Bischweier: Das St. Annen-Kirchlein

Als Verkehrshindernis lange Zeit verschmäht, heute gerettet und als Kleinod sehr beliebt.

Das St. Annen-Kirchlein

 

Ihr Standort verlangt die ganze Aufmerksamkeit des Autofahrers. Ab und an quietschen Reifen und aus der herabgelassenen Autoscheibe hört man das Schimpfen des Fahrers und nicht selten haben Fußgänger mit einem Sprung nach rückwärts die sichere Straßenseite angepeilt. Das Polizeikommissariat Rastatt beurteilte im Oktober 1965 die alte Kirche als enormes Verkehrshindernis weil sie mit einer Ecke in den Kreuzungsbereich hineinragte. Es gab zahlreiche Diskussionen, aber am Ende hat sich die Bevölkerung von Bischweier mit Bürgermeister Josef Schiel und die Denkmalpflege durchgesetzt. Und so steht die kleine Kapelle heute noch an dem Platz, an dem sie gläubige Menschen um das Jahr 1243 erbaut hatten.

 

Sie ist schlicht und einfach das Wahrzeichen von Bischweier. Mit dem Blick auf dieses geschichtliche Kleinod im Dorf lebten ganze Generationen. Niemand musste sich früher Gedanken über ihren Standort machen. In Bischweier wohnten im späten 16. Jahrhundert knapp 200 Einwohner. Im Dreißigjährigen Krieg reduzierten sich die Einwohner auf 26 Familien was einer Einwohnerzahl von ca. 120 Personen entsprach. Danach stieg die Bevölkerung stetig an und betrug 1790 rund 325 Bewohner. Der Ort war geprägt von der Landwirtschaft und der Viehzucht. Auf den Äckern wuchsen Dickrüben, Kürbisse und andere landesüblichen Früchte, sowie Futterkräuter wie Luzerne und Klee. Und es gab Reben in Bischweier. Auch der Viehbestand um 1790 war mit 91 Pferden und 160 Rindern nicht unbedeutend. Da es gleichzeitig nur drei Ziegen im Dorf gab zeigt, dass die Dorfbewohner schon etwas wohlhabender waren, denn die Ziege war eigentlich die Kuh des armen Mannes. Die Dorfstraße war damals noch ohne Pflaster und das benötigte Wasser holte man aus dem Brunnen. Die wichtigste Straße im Ort war im 19. Jahrhundert die Vizinalstraße nach Muggensturm und Rotenfels. Weitere Verbindungen führten nach Kuppenheim, Rastatt und Waldprechtsweier. Damals gab es keine Hektik auf diesen Straßen. Das Kuh- oder Pferdegespann zog den Heuwagen gemächlich in Richtung Hofscheuer. Auch das Kirchlein war niemand im Weg, doch die Zeiten sollten sich ändern.

 

Sie ist nicht besonders groß die Sankt- Annen-Kapelle und ihre Geheimnisse verrät sie nur, wenn man sich mit ihr beschäftigt. Das Türmchen mit seinem achteckigen Glockenstübchen aus Fachwerk fällt schon von weitem auf. Es wurde im Jahr 1764 aufgesetzt und streckt sich trotzig empor Richtung Himmel. Über dem Portal der Westfassade fällt der Blick des Betrachters auf eine spätbarocke Madonna. Darüber die Buchstaben J W Sch und die Jahreszahl 1764. Ein Hinweis darauf, dass Jakob Westermann der Schultheiß im Jahr 1764 die Renovierung der Annenkapelle durchführen ließ. Dieses Westportal stammt aber aus einer älteren Bauperiode. An der Scheitelspitze erkennen wir das genaue Datum, nämlich XV C IIII. Ein Hinweis auf das Jahr 1504 (15 x 100 + 4)und man vermutet, dass das Langhaus auf dem ursprünglichen Bau nach Westen verlängert worden ist und die Decke um 70 cm erhöht wurde. Da der dreiseitige Chorabschluss mit seinen geraden Mauern auf einem halbkreisförmigen Fundament ruht, ist dies der Hinweis auf einen älteren Vorgängerbau.

Im Jahr 1892 wohnten in Bischweier 660 Katholiken und in der kleinen Kapelle wurde es eng. Im Langhaus und auf der Empore war nur Platz für 180 Personen und so standen zahlreiche Gläubige während der Messe vor der Tür. Da eine Erweiterung der Sankt-Annen-Kapelle nicht möglich war, drängte man auf den Bau einer neuen, größeren Kirche. Dazu benötigte Bischweier die Zustimmung des Stiftungsrates von Rotenfels und auch dessen finanzielle Unterstützung. Erst als in der kleinen Kapelle Erdfeuchte, Pilzbefall und zuletzt eine Gesundheits-gefährdung beim Besuch des Gottesdienstes festgestellt wurde, stimmte Rotenfels einem Neubau zu. Mit Spenden aus der Bevölkerung, umliegenden wohlhabenden Pfarrgemeinden und Unterstützung aus dem Heiligenfonds sowie der Pfarrei Rotenfels  konnten die Baupläne von Architekt Johannes Schroth umgesetzt werden. Im April 1899 erfolgte die feierliche Grundsteinlegung und den Weihnachtsgottesdienst feierte die katholische Gemeinde 1900 in ihrer neuen Kirche St. Anna.

Die kleine Annenkapelle fristete fortan ein trauriges Dasein. Das ungenutzte Gebäude verfiel immer mehr. Nur ab und an wenn sie als Turnübungsraum benutzt wurde, kam Leben in das kleine Kirchlein. Ansonsten diente sie als Feuerwehrgerätehaus und Gemeindekelter. Sie bot keinen schönen Anblick. Im Jahr 1930 wurden notdürftige Reparaturen vorgenommen. Eigentlich hätte man mehr tun müssen, aber die Stimmen, die den Abbruch forderten wurden immer lauter. Man argumentierte damit, dass das Gebäude dem zunehmenden Straßenverkehr im Weg sei und andere meinten, dass der Unterhalt zu kostspielig wäre. Kein Feuer und kein Krieg hatten diesem kleinen Gotteshaus etwas angetan und es gab Menschen, die dieses Kulturdenkmal einfach beseitigen wollten. 1952 wurden alle Diskussionen beendet, denn das Landesdenkmalamt zog einen Schlussstrich. Es versagte seine Zustimmung zum Abbruch.

 

1958 wurde die Annenkapelle durch das Staatliche Amt für Denkmalpflege in Freiburg wenigstens im äußeren Bereich renoviert. Der Landkreis und die Gemeinde Bischweier haben sich an den Kosten beteiligt. Doch die Diskussionen nahmen auch damit kein Ende. Es ging immer wieder um die Verwendung des Gotteshauses und immer wieder kamen auch Hinweise auf die Verkehrsge-fährdung.

 

Doch das letzte Geheimnis hatte die kleine Kapelle noch nicht preisgegeben. Wir wissen, dass Bischweier im Jahr 1243 eine Filiale von Rotenfels, der Urkirche des Murgtals war. Zahlreiche Kapellen und Kirchen aus diesem Zeitraum der letzten drei Jahrhunderte des Mittelalters sind mit herrlichen gotischen Bildern geschmückt. Und die Annenkapelle? Nun, im Jahr 1973 als die große Pfarrkirche renoviert wurde, brauchte man sie als Ausweichraum für den Gottesdienst. Der verwahrloste Innenraum wurde provisorisch hergerichtet und als für eine Heizanlage Löcher in die Wand geschlagen wurden kam das letzte Geheimnis dieser Kapelle an das Tageslicht. Unter dem Putz entdeckte man Farbspuren. Das Landesdenkmalamt kam zu dem Ergebnis, dass sich an der Nordwand ein gut erhaltener Bildteppich in der Größe von 9 qm befindet. Die Malereien wurden durch eine ca. 10 cm dicke Putz- und Kalkschicht gut erhalten. Es sind biblische Szenen, die sich an der linken Wand vom Fußboden bis auf eine Höhe von 70 cm unter der Decke erstrecken. Gemalt wurden sie in Seccotechnik (italienisch al secco – aufs Trockene). Entgegen der Frescomalerei wird hier auf eine bereits versinterte Putzfläche gemalt. Das war der Beweis, dass es sich bei der Annenkapelle um ein ganz besonderes geschichtliches Kleinod handelt. Gleichzeitig war dies die Bestätigung für alle, die sich so lange und vehement für den Erhalt dieser Kapelle eingesetzt hatten.

 

Nach all den Kampfjahren um die Erhaltung der Sankt-Annen-Kapelle geschah am 2. Juli 1975 fast so etwas wie ein Wunder. Mit der Unterschrift auf einer Schenkungsurkunde wurde die evangelische Kirche neuer Besitzer dieser kleinen Kapelle. Mit einem Festakt am 3 August 1975 wurde die Kapelle wieder dem Zweck zugeführt aus dem sie auch gebaut wurde. 1977 in der Osternacht ertönte aus dem bislang stillen Turm auch wieder eine Glocke.

 

Sie wird immer wieder Baustelle sein diese alte Kapelle. Mal innen, mal außen. Sie hat viel überstanden, zahlreiche Kriege, durchziehende Truppen, Straßen- und Verkehrsplaner und Menschen, die Kulturgut für unnötigen Ballast hielten. Sie bleibt Mittelpunkt in Bischweier, steht trotzig und fingerzeigend zum Himmel da ganz nach dem Motto: Hier gehöre ich hin!

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